Kinder & die digitale Welt
– Auszüge aus dem Buch: „Gesund aufwachsen in der digitalen Medienwelt“ Alle Infos dazu hier: www.diagnose-media.org
Der Boom der modernen Kommunikationstechnologien macht vor den Kleinsten nicht Halt und bietet für Eltern und Kleinkinder eine breite Palette verschiedener funkbasierter Angebote.
Dabei stellt sich die Frage: Können digitale Medien eine gesunde Gehirnentwicklung fördern oder erweisen sie sich dafür als hinderlich oder sogar als schädlich?
Warnungen weltweit – sogar von der Mobilfunkindustrie:
Seit Jahren warnen internationale Ärzteappelle, Wissenschaftler-, Ärzte- und Umweltverbände, die Europäische Umweltagentur, der Europarat, das europäische Parlament und viele andere Institutionen vor den gesundheitlichen Risiken der Mobilfunkstrahlung und fordern z.B. eine Reduzierung der Funkstrahlung und nachdrücklich Schutzmassnahmen für Kinder und Jugendliche.

Trotzdem werden die gesundheitlichen Risiken durch die Belastung durch Funkstrahlung oft unterschätzt oder gar ignoriert. Wissenschaftliche Studien weisen immer deutlicher nach: Insbesondere die Dauerbestrahlung unterhalb der Grenzwerte, der viele Menschen durch die stetige Zunahme von Funkanwendungen (z. B. WLAN, Bluetooth, UMTS u. a.) ausgesetzt sind, ist eine Hauptquelle für Gesundheitsrisiken.
Selbst die Hersteller von Smartphones warnen:
Alle Hersteller von Smartphones weisen in ihren Sicherheitshinweisen darauf hin, dass die Endgeräte in einem Mindestabstand vom Körper des Nutzers gehalten werden müssen, damit die gesetzlich gültigen Grenzwerte für Mikrowellenstrahlung nicht überschritten werden.
Zum Beispiel soll beim Smartphone Blackberry Torch 9800 ein Abstand vom Körper von mindestens 25 mm eingehalten werden, insbesondere vom Unterleib schwangerer Frauen (Belastung des Fötus) und Jugendlicher (Belastung der Hoden). Laut der Bedienungsanleitung des iPhone 5 soll man Kopfhörer benutzen und es mindestens 10 mm vom Körper entfernt halten.
Kinder haben einen erhöhten Schutzbedarf, da bei ihnen die Strahlung viel tiefer in den Kopf eindringt als beim Erwachsenen. (vgl. Bild nebenan)
Das kindliche Gehirn ist dadurch bis zu 3-fach höher belastet als das des Erwachsenen, Knochen sogar bis zu 10-mal höher. Da das Nerven- und Immunsystem von Kindern noch nicht voll entwickelt ist, kann dessen Entwicklung leicht empfindlich gestört werden.

Dabei gilt es auch festzuhalten, dass prominente IT-Grössen wie Steve Jobs, Bill Gates oder Jeff Bezos ihren Kindern den frühen Zugang zu Smartphone & Co versagten.
„Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins digitale Zeitalter!“
– Gerald Lembke / Ingo Leipner
Pädagogen, Kinderärzte und Medienexperten warnen:
Wir wissen heute: Besonders in den ersten Lebensjahren spielen Bildschirmmedien eine unheilvolle Rolle, denn sie wirken umso mehr entwicklungshemmend, je häufiger sie genutzt werden.
Bereits Kleinkinder zeigen dabei schnell erste Anzeichen von suchtähnlichem Verhalten. Ausserdem kann es leicht zu Störungen in der Gehirnentwicklung kommen mit fatalen Konsequenzen. Auch grössere Kinder, die immer mehr Zeit an Bildschirmgeräten verbringen, sind gefährdet: Häufiger Medienkonsum kann zur Hemmung in der Sprachentwicklung, zu Aufmerksamkeitsschwäche, Konzentrations- und Schlafstörungen, Hyperaktivität, Aggressivität bis hin zu Lese- und Rechtschreibstörungen führen.
Wenn für das Autofahren, den Zigaretten- und Alkoholkonsum Altersbeschränkungen sinnvoll sind, dann spricht heute Vieles dafür, dass dies erst recht für die Nutzung digitaler, vernetzter Medien gelten sollte!

Entwicklungspsychologie und Neurobiologie haben die Bedingungen für eine gesunde Gehirnentwicklung des Kindes seit langem erforscht: Die Sinne des Kindes und vor allem das Gehirn entwickeln sich umso besser, je reichhaltiger die Kinderjahre mit Bewegungsaktivitäten – laufen, klettern, purzeln, balancieren u.v.m. – gefüllt werden, je intensiver sich das Kind mit analogen Dingen seiner natürlichen Umwelt, mit seinen Mitmenschen, Tieren und Pflanzen auseinandersetzen kann.
TV, PC, Handy und Co gelten als Zeiträuber und verdrängen das Lernen mit allen Sinnen.
Frühe Mediennutzung ist kurzsichtig und riskant
Eine möglichst frühe Mediennutzung in Familie und Schule ist also kurzsichtig, hochriskant und kontraproduktiv: Sie gründet sich nicht auf Erkenntnisse der pädagogischen und neurobiologischen Wissenschaft. Die weitverbreitete Meinung „Wer sein Kind nicht früh genug an die Medien heranführt, verbaut ihm seine Zukunft“ ist ein verhängnisvoller Irrtum.
Diese Ansicht folgt unkritisch den Forderungen und den Vermarktungsinteressen der Medienkonzerne, die frühe Mediennutzung mit Fortschrittsbegriffen bewerben und in den Ministerien mit Hilfe von Lobbyorganisationen durchsetzen. Es scheint paradox, aber die wissenschaftliche Erkenntnis lautet:
Ein zu früher Medienkonsum behindert die Entwicklung von genau den Schlüsselkompetenzen, die für die mündige Beherrschung der digitalen Medien später gebraucht werden.
Kinder / Jugendliche und die digitalen Medien:
Die Nutzungsdauer von Whatsapp, Facebook und Co. beläuft sich von ca. 2,5 Stunden bei den 12-13-jährigen, über gut 3 Stunden bei den 14-15-jährigen und bis auf knapp 4 Stunden bei den 16-19-jährigen täglich.
Der Zugewinn an Kommunikationsfreiheit, ständig und überall erreichbar zu sein, bedeutet Segen und Fluch zugleich. Zunehmend klagen die Jugendlichen über Kommunikationsstress (vgl. Sinus-Studie: http://www.wie-ticken-jugendliche.de/).
Auch laut einer Studie im Auftrag der Landesmedienanstalt NRW 2015 fühlen sich 120 von 500 befragten Kindern und Jugendlichen zwischen 8 und 14 Jahren (d.h. 24%) durch die permanente Kommunikation über Messenger-Dienste wie WhatsApp gestresst. 240 von 500 (d.h. 48%) geben zu, durch das Handy abgelenkt zu werden, etwa von den Hausaufgaben.

Einfluss auf Kognition und Lernen:
Erst jüngst hat Microsoft eine neue Studie veröffentlicht, die zeigt, dass die Aufmerksamkeitsspanne von 12 Sekunden im Jahr 2000 auf 8 Sekunden im Jahr 2013 gesunken ist. Damit ist die Aufmerksamkeitsspanne von Goldfischen mit 9 Sekunden sogar noch um eine Sekunde höher!
Sinkende Aufmerksamkeitsspanne heisst: Fallende Konzentrationsfähigkeit!
Die Risiken zunehmender Mediennutzung werden immer ersichtlicher:
Die DAK-Studie „Internetsucht im Kinderzimmer“ von 2015 belegt eine bedenkliche, weltweite Entwicklung unter Jugendlichen:
22 % der Kinder und Jugendlichen fühlen sich ruhelos, launisch oder gereizt, wenn sie ihren Internetkonsum reduzieren sollen. Bereits ca. 5 % (das sind ca. 120.000) leiden unter krankhaften Folgen der Internetnutzung und ca. 8 % weisen bereits ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Internetsucht auf, d.h.: sie verbringen 8 bis 10 Stunden am Tag oder mehr mit dem Spielen und vernachlässigen zwangsläufig andere Aktivitäten.
Eine Fragebogen-Aktion in Kinderarztpraxen von NRW 2015 im Rahmen der BLIKK-Medien-studie (11) der Drogenbeauftragten der Bundesregierung ergab: „Mehr als 60% der 9- und 10-Jährigen in Deutschland können sich höchstens eine halbe Stunde ohne Fernseher, Computer oder andere digitale Medien beschäftigen.
Auswirkungen auf das Sozialverhalten:
Die unreflektierte Neigung, permanent online und allzeit reaktionsbereit zu sein, verändert das Leben der Jugendlichen und ihr Zusammensein mit anderen grundlegend: Das Handy wird wichtiger als das Gegenüber. Das Digitale verdrängt immer mehr das unmittelbare Soziale. Es kommt trotz aller Kommunikation zu einer sozialen Vereinsamung.
- Die Fähigkeit der Jugendlichen verkümmert, soziale Signale angemessen zu interpretieren. Dies zeigt sich in einem Mangel oder gänzlichen Fehlen von sozial-empathischem Verhalten oder konstruktivem, sozialverträglichem Konfliktverhalten in der Peergroup. Eine Studie der US-Psychologin Sarah Konrath ergab, dass die Empathiefähigkeit von College-Studenten seit 1990 um ca. 40% gesunken ist. Vorherrschend ist ein narzisstisch–egoistisches Kommunikationsverhalten verbunden mit einer gesteigerten Tendenz zur Selbstdarstellung (u.a. über Selfies und Likes).
- Auch die Unverbindlichkeit nimmt zu: Während früher Verabredungen einmal getroffen und in der Regel auch eingehalten wurden, ist heute die persönliche Zeitplanung immer neuen Verhandlungen, Vereinbarungen und Umdisponierungen unterworfen. Treffen finden oft unter Vorbehalt statt.
- Jugendliche müssen sich seltener etwas einfallen lassen, um ihre Freizeit auszufüllen. Treffen mit anderen, Sport, Lesen kommen zu kurz, da es viel einfacher ist, auf ein leicht zugängliches und kurzweiliges Medium wie Smartphone, iPod oder Xbox zuzugreifen. Individualität und Kreativität können dadurch verkümmern.
Südkorea geht mit gutem Beispiel voran!
Kinderärzte in den USA warnen seit Jahren vor den genannten Risiken und Nebenwirkungen und fordern, Kleinkindern überhaupt keine digitalen Medien anzubieten und Kindern die Nutzung digitaler Medien zeitlich deutlich zu begrenzen. Dem sind jetzt die südkoreanischen Bildungspolitiker gefolgt: Südkorea ist das erste Land, in dem die Regierung bereits im Jahr 2015 per Gesetz damit begonnen hat, die junge Generation vor den schlimmsten Auswirkungen der neuen Technik aktiv zu schützen.
Wer unter 19 Jahren alt ist und ein Smartphone kauft, muss darauf eine Software installiert haben, die
1. den Zugang zu Gewalt und Pornographie sperrt,
2. die tägliche Nutzungszeit des Smartphones registriert und den Eltern eine Mitteilung sendet, wenn diese einen voreingestellten Wert überschreitet, und
3. die nach Mitternacht die Verbindung zu Spiele-Servern unterbricht.
Im digital fortschrittlichsten Land hat man begriffen, wie wichtig es ist, die nachfolgende Generation vor den Risiken und Nebenwirkungen dieser Technologien zu schützen. Süd-Korea ist das Land mit der weltweit fortschrittlichsten digitalen Infrastruktur und produziert weltweit die meisten Smartphones.